Macht Sexarbeit krank?

Diese Frage hat eine Kollegin jüngst in einem Forum für Sexarbeitende und deren Kund*innen gestellt. Ich habe darauf geantwortet, mir überlegt einen Blogbeitrag dazu zu schreiben, und es dann erst einmal unfertig zur Seite gelegt. Das hat noch etwas Zeit, und ist ein Thema, welches schließlich immer wieder um die Ecke kommt und nicht davon läuft. Alternativ noch mit der Variante „Nur psychisch kranke Personen entscheiden sich für die Prostitution!“

Leere Hülle? Mental kaputt? Psychisch krank?

Nun öffne ich heute Morgen nichts ahnend meinen Twitter und mir begegnet auf meine Aussage in einem Thread, dass Freier keine Mörder sind, folgender Kommentar einer älteren Dame aus Bayern, die offensichtlich eine ganze Menge Meinung hat, die sie nachts um zwei loswerden muss. Ein Schelm, wer dabei an senile Bettflucht denkt:

„Seelenmörder, zurück bleibt die Hülle, sozusagen mental kaputt. Mir ist schleierhaft dass Männern eingeredet wird den Trieb nicht kontrollieren zu können und unbedingt ein Gefäß dazu herhalten muss, sozusagen Frau wird zum Gefäß degradiert, das ist unter aller Menschenwürde“

DAS möchte ich dann doch nicht einfach noch lange so stehen lassen. Nicht nur ist das eine unglaublich dreiste, beleidigende und abwertende Aussage, sie ist auch falsch. Da es mit dem eigentlichen Thema dieses Blogbeitrags nur peripher zu tun hat, lediglich dies:

  • Männer können durchaus „ihren Trieb kontrollieren“ und haben keinen Anspruch auf Sexualität mit einem anderen Menschen. Das ist ein Fakt. Niemand hat diesen Anspruch.
  • Nicht alle Sexarbeitenden sind weiblich.
  • Nicht alle Kund*innen sind männlich.
  • Nicht alle sexuellen Handlungen beinhalten Penetration.
  • Wer hier jemanden zu einem Gegenstand degradiert, ist die Person, die das geschrieben hat.

Aber zurück zu der Frage, ob Sexarbeit krank macht. Ich würde vermutlich die Frage umformulieren in „Kann Sexarbeit krank machen?“ und darauf ist meine persönliche Antwort – Ja. So wie jeder Beruf, in dem sich Menschen sehr intensiv mit dem Gegenüber auseinandersetzen müssen. Wenn man sich ansieht, in welchen Jobs Burn-Out, psychische Erkrankungen etc. am meisten verbreitet sind, dann sind es doch (neben Berufen, in denen die Menschen einfach aufgrund der schieren Arbeitslast und des Drucks einknicken) am häufigsten Berufe, die „nah am Menschen“, also mit hoher sozialer Interaktion sind.

Statista schreibt zum Beispiel zu Burn Out:

„Zusammen mit Berufen in der Haus- und Familienpflege sowie in der Altenpflege gehören die Sozialpädagogen zum wiederholten Male zu den Burn-out anfälligsten Berufsgruppen. Im Jahr 2019 entfielen die meisten Burn-out-Krankheitstage auf Berufe in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. “ ¹

¹ https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239672/umfrage/berufsgruppen-mit-den-meisten-fehltagen-durch-burn-out-erkrankungen/

Die Kollegin, die die Frage in den Raum gestellt hat, wunderte sich, warum es so wenige echte Freundschaften oder eine gute Kollegialität in der Sexarbeitsbranche gäbe. Sie glaube manchmal, dass es sich um eine pathologische Beziehungsproblematik handle, weil eventuell vermehrt Menschen, die nicht beziehungsfähig sind, in der Sexarbeit „stranden“, respektive sie in Anspruch nehmen.

Ich kann persönlich nicht unterschreiben, dass es keine echten Freundschaften oder sogar keine Kollegialität in unserer Branche gibt. Aber Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen, und deswegen spreche ich ihr keineswegs ab, dass sie es so erlebt hat. Sowohl in den Studios, in denen ich als Domina gearbeitet habe, als auch auf Stammtischen, bei denen sich völlig unterschiedliche Sexarbeiter*innen mit ebenfalls sehr unterschiedlichen Arbeitsrealitäten begegnen und auch im Berufsverband von und für Sexarbeitende, in dem ich ehrenamtlich tätig bin, ist Zusammenhalt besonders wichtig. Wir unterstützen uns nicht nur bei der Arbeit, um ein sog. „Nordisches Modell“ zu verhindern, sondern auch, wenn wir ganz normale Probleme oder Fragen bezüglich der jeweiligen Arbeit, aber auch zu privaten Dingen haben.

Es „menschelt“ in allen Branchen.

Zusammenhalt und gemeinsames an einem Strang ziehen, das scheint nicht nur mir immer wichtiger und erstrebenswerter. Wie überall, wenn Menschen zusammen kommen, „menschelt“ es allerdings auch in unserer Branche. Wir haben super liebe Kolleg*innen, die einem in der Puffküche heiße Brühe einflößen, wenn man einen Schnupfen hat, sich Liebeskummer und andere kleine und große Problemchen im Alltag anhören, mit einem über anstrengende Kunden diskutieren usw. Und dann gibt es Kolleg*innen, die aus unterschiedlichen Gründen weglaufen würden, wenn eine Kollegin heulend am Straßenrand sitzt. Menschen bleiben Menschen, unabhängig vom Beruf.

Nicht zu vergessen, dass viele Personen ihren Beruf und ihr Privatleben strikt trennen. Gerade wenn ihr persönliches Umfeld nichts von ihrer Tätigkeit weiß, versuchen sie auch alles, was mit der Sexarbeit zu tun hat, weit davon weg zu halten. Selbst wenn sie ihre Kolleg*innen mögen und gerne mit ihnen auf der Arbeit plaudern, sobald sie die Tür des Bordells, Studios, Massagesalons etc. hinter sich geschlossen haben, möchten manche Menschen einfach ihren Job für den Tag hinter sich lassen, und entsprechend auch den Kontakt mit den Kolleg*innen. Das ist vollkommen legitim, und in anderen Branchen auch keine Seltenheit. Wir alle haben ein Recht darauf, unseren Beruf und unser Privatleben voneinander getrennt zu halten, und auch wenn ich persönlich private Beziehungen und Freundschaften zu Kolleg*innen pflege und man sich auch mal in der Freizeit trifft und austauscht, so verstehe ich doch, wenn andere Menschen das nicht wollen. Selbstverständlich gibt es auch in unserer Branche wie im Rest unserer Gesellschaft Konkurrenzdenken, sich gegenseitig in die Pfanne hauen, vor Kundschaft oder Kolleg*innen schlecht reden. Es gibt Rassismus, Transfeindlichkeit, Homophobie, Ableismus und so ziemlich alle -ismen, die man sich vorstellen kann eben auch in der Sexarbeit untereinander. Davor darf man nicht die Augen verschließen. Wenn man damit regelmäßig, insbesondere als betroffene Person, konfrontiert wird – das macht mit Sicherheit auch auf Dauer krank.

Beziehungsunfähig oder nur sehr selektiv?

Ich bin absolut sicher, dass Sexarbeitende nicht grundsätzlich weniger beziehungsfähig sind als andere Menschen. Dafür kenne ich zu viele Kolleg*innen, die verheiratet sind, langjährige Partnerschaften, Familien und Kinder haben. Doch die Sexarbeit bringt auch für zwischenmenschliche, private Beziehungen so ihre Schwierigkeiten mit. Stigma ist ein zentraler Faktor und führt dazu, dass manche Menschen ihren Partner*innen, Freund*innen und Familien nicht unbedingt davon erzählen, wie genau sie ihr Geld verdienen. Sind sie geoutet, kann der Umstand, dass sie dieser Arbeit nachgehen, auch dazu führen, dass es früher oder später zu Konflikten innerhalb der Beziehungen kommt. Eifersucht kann sich über die Zeit aufbauen, und auch die Sorge um die Unversehrtheit der Partneri*nnen hat schon so manche Person dazu gebracht, zu versuchen, Sexarbeiter*innen davon zu überzeugen, oder sie gar dazu zu zwingen, dass sie ihren Beruf aufgeben sollen. Eine ganz miese Nummer widerfährt leider nicht selten Kolleg*innen, die offen mit ihrem Beruf umgehen. Es gibt eine bestimmte Sorte Mensch, die „schon immer mal ein Callgirl ausprobieren wollten“. Die sich das Vertrauen der Sexarbeitenden erschleichen und ihnen Verliebtheit oder den Wunsch nach einer Beziehung vorgaukeln. Wenn man sich dann sicher fühlt, kommt der Tritt in die Kniekehlen, nachdem es zum sexuellen Kontakt kam. Ich habe mich schon mit mehr als einer, meist noch recht jungen Kollegin unterhalten, die durch solche Aktionen verletzt worden ist. Diese Verletzungen, der Vertrauensmissbrauch, das kann natürlich auch dazu führen, dass Menschen sehr viel misstrauischer und vorsichtiger werden, wenn es darum geht eine Beziehung einzugehen. Das bedeutet nicht, dass die Personen beziehungsunfähig sind. Aber sie werden einfach sehr viel selektiver bei der Auswahl von potentiellen Partner*innen.

Sicher gibt es auch Personen, für die die Sexarbeit genau deswegen das Richtige ist, weil sie sich aufgrund mangelnder Beziehungsfähigkeit besser von der Kundschaft abgrenzen können. Das würde ich nicht per se ausschließen. Dass das der überwiegende Teil der Kolleg*innen ist, das halte ich allerdings für unwahr.

Was die Beziehungsfähigkeit der Kund*innen angeht, das ist ein Thema für sich, welches ich zu einem anderen Zeitpunkt einmal näher beleuchten werde. Nur so viel – es ist komplex und nicht in ein paar Sätzen abgehandelt, ich halte aber Kundschaft ebenfalls nicht für grundsätzlich beziehungsunfähig.

Sexarbeiter*innen als Therapeut*innen?

Die Kollegin, die die Frage in den Raum gestellt hat, schrieb auch, dass manche Sexarbeiter*innen sich selbst geradezu als Therapeut*innen sähen. Sie fände das albern, denn dann wären Kund*innen ja geradezu Patient*innen.

Das höre und lese ich auch immer wieder. Ich halte das persönlich für schwierig, wenn die Sexarbeitenden nicht tatsächlich eine entsprechende therapeutische Ausbildung haben. Viele Kolleg*innen bilden sich ja mittlerweile im Bereich der Paar- oder Sexualtherapie weiter, andere haben eine entsprechenden Hintergrund. Eine meiner Kolleginnen war im Hauptberuf Psychologin und im Nebenberuf passive „Sklavin“ im BDSM Studio.

Ich vergleiche uns lieber mit guten Freund*innen, die Verständnis und oft eine gute Portion Lebenserfahrung mitbringen. Wir sind Menschen, mit denen man offen und ohne verurteilt zu werden, über vieles sprechen, die eigenen (auch, aber nicht nur sexuellen) Wünsche, aber auch Belastendes aus dem Alltag loswerden kann. Die Betonung liegt dabei aber auf dem „kann“.

Ich halte das nicht selten für eine Grenzüberschreitung, wenn die Kundschaft voraussetzt, dass wir der Abladeplatz für persönliche Schwierigkeiten und Probleme sind, oder versucht, mit uns Traumata aufzuarbeiten. Sexarbeitende sind kein Ersatz für Therapeut*innen, allenfalls Personen, bei denen man sich entspannen und mit denen man auch sprechen kann. Wir müssen die Option haben, uns dafür oder dagegen entscheiden zu können, solche teilweise anstrengenden und Energie zehrenden Gespräche zu führen oder zuzuhören.

Ich hatte schon Sessions, da ist der Kunde in Tränen ausgebrochen und hat sich ¾ der Zeit ausgekotzt. Ich kann damit umgehen, ich biete auch Beratungsgespräche an, und ich ermutige meine Kund*innen auch, mir zu sagen was sie beschäftigt, wenn sie sehr angespannt oder bedrückt wirken. Vorauszusetzen, dass alle Sexarbeitenden das können und vor allem wollen, halte ich jedoch für falsch.

Arbeiten nur (psychisch) kranke Personen in der Sexarbeit?

Weiter im Text der Kollegin:

„In manchen Studien wurde herausgearbeitet, dass es unter Sexarbeitenden im Vergleich zur Gesamtbevölkerung vermehrt Diagnosen wie PTBS, Angststörungen und Depressionen gäbe. Scheinbar korreliert die Frage der psychischen Gesundheit im Sinne einer Stabilität auch mit dem Grad der Freiheit und der Selbstbestimmung, in der sich Sexarbeitende befinden.“

Leider konnte sie mir keine der erwähnten Studien verlinken. Ich höre das bisher immer nur von Gegner*innen unserer Branche und Arbeit, um Sexarbeitende im Diskurs zu entmündigen. Frei nach dem Motto „Na, wenn die nicht traumatisiert oder krank wären, dann hätten sie doch nie diesen Job gewählt!“ oder auch „Sexarbeit ist bezahlte Vergewaltigung, kann gar nicht freiwillig sein, deswegen werden sie alle krank und gestört.“

Tatsächlich aussagekräftige Studien (also mit mehr als zwei Handvoll Personen, deren Daten aufgenommen und verarbeitet wurden) werden dann in der Regel auch nicht präsentiert. Das sind entweder irgendwelche Artikel, Befragungen von einer kleinen Anzahl Sexarbeitenden mit den schwierigsten Arbeitsbedingungen oder schlicht „Studien“, die Organisationen, die für ein Verbot der Sexarbeit sind, in Auftrag gegeben haben. Wie heißt es so schön? Traue keiner Studie/Statistik, die Du nicht selbst gefälscht oder beeinflusst hast. Ich zumindest glaube auch keiner angeblichen Studie so wirklich, die behauptet, dass Batterie-Legehennen keinen Stress haben, wenn diese Studie von einem Geflügelwursthersteller kommt.

Natürlich spreche ich jetzt von der selbst gewählten Sexarbeit. Aus welchen Gründen ein Mensch diesen Beruf wählt, das ist sehr unterschiedlich. Ja, das kann auch schlicht der zur Zeit einfachste Weg sein, an Geld zu kommen, mit dem man den eigenen Lebensunterhalt bestreitet.

Dass Menschen traumatisiert und krank werden, wenn man sie dazu zwingt Dinge, zu tun, die gegen ihre körperliche und sexuelle Selbstbestimmung gehen und die sie nicht machen wollen, das wundert hoffentlich niemanden! Menschenhandel ist Gewalt und Gewalt macht krank.

Ich will auch gar nicht behaupten, dass Sexarbeitende grundsätzlich keine oder sehr wenige psychischen Erkrankungen oder Störungen haben. Das wird auch nicht weniger sein als in anderen Berufsgruppen. Aber ich habe für mich persönlich da eine recht einfache Erklärung – die Sexarbeit ermöglicht uns nach eigenem Ermessen und dann, wenn wir dazu in der Lage sind, zu arbeiten. Wir haben keinen Chef im Nacken, der unbedingt eine AU will, wenn wir einfach nur mal 3 Tage zu Hause bleiben und unsere Ruhe haben wollen oder müssen. Wir müssen uns von unserer Kundschaft nicht alles gefallen lassen, machen unsere eigenen Regeln und passen die Arbeitszeiten auf unseren Alltag an. Wer nachts nicht gut schläft oder grundsätzlich aktiver ist, wird seine Dienstleistung vermutlich dann anbieten. Wer phasenweise zu depressiv ist, um mit Menschen zu sprechen, wird dann mehr arbeiten, wenn es wieder bergauf geht. Wer bisher wenig Möglichkeiten zur Selbstbestimmung hatte, wird sich einen Job suchen, indem man selbst Chef*in ist und die Regeln macht. Manche Menschen passen einfach nicht in klassische Strukturen, bei denen sie um 8:00 Uhr morgens und bis 17:00 Uhr so „funktionieren“ müssen, wie andere es von ihnen erwarten.

Ich selbst habe zum Beispiel eine chronische Schmerzerkrankung, und meine Sexarbeit ermöglicht es mir, meine Arbeitstermine so zu legen, dass ich mich nicht überlaste (was zu einem Schub führen kann), dass ich dann mehr arbeiten kann, wenn es mir verhältnismäßig gut geht, und dann weniger, wenn ich nicht fit bin. Auch wenn wir viele Abgaben haben, und genauso Steuern, Versicherungen usw. bezahlen müssen wie andere Menschen auch, so ist unsere Bezahlung doch deutlich über Mindestlohn. Und das wiederum heißt, dass wir unter Umständen einfach weniger Stunden arbeiten müssen, um dasselbe Einkommen wie eine Angestellte im Büro oder ein Einzelhandelskaufmann zu bekommen. Und wer in unserer Branche 40 oder 50 Stunden in der Woche arbeiten kann und will, hat es auch verdient, die entsprechende Kohle auf dem Konto zu haben.

Auch um eine etwaige Therapie lässt sich unser Beruf herum bauen. Wir müssen niemandem erklären, warum wir jeden Donnerstag schon um 15:00 Uhr Feierabend machen, weil der Therapeut nur dann noch Termine frei hatte. Selbst ein tagesklinischer Aufenthalt würde theoretisch gehen, wenn wir abends noch ein paar Stunden arbeiten wollen oder müssen. Die Freiheit, sich seinen Arbeitsalltag selber zu formen, das ist für viele Menschen mit psychischen/chronischen Erkrankungen einfach ein ganz wichtiger Punkt, der sehr viel Anspannung und Druck aus dem Umstand raus nimmt, dass wir nun mal arbeiten müssen, um Geld zu verdienen.

Krankmachende Freier?

Natürlich kann auch der Umgang der Kundschaft mit Sexarbeiter*innen belastend sein. Das will ich keinesfalls wegwischen! Was sich teilweise in manchen Foren tummelt und zu lesen ist – völlig unabhängig davon, ob es erstunken und erlogen, ausgeschmückt oder im Kern wahr ist – das ist unterirdisch. Das sagt eine Menge darüber aus, wie diese Menschen Sexarbeitende wirklich sehen. Und der Kontakt mit Menschen, die respektlos, abwertend, übergriffig sind und andere Personen als Gegenstände betrachten, der ist auf Dauer sicher nicht gesund! In anderem Kontext und anderer Form, habe ich ähnliches in meinen Jahren im Einzelhandel erlebt. Und da ging es noch nicht mal um eine höchst persönliche Dienstleistung mit und am Körper eines fremden Menschen. Ich kann mich an Abende erinnern, da war ich fertig mit der Welt, nur aufgrund der Art und Weise, wie mich fremde Menschen auf der Arbeit behandelt haben.

Auch die Kundschaft von Sexarbeiter*innen ist nicht selten rassistisch, objektifizierend, betreibt bodyshaming usw. Oft ist ihnen das erst mal gar nicht recht bewusst. Das ist jedoch keine Entschuldigung dafür und kann betroffene Personen sehr belasten.

Was vermutlich auch auf Dauer krank machen kann, weil es einen zermürbt und an sich und dem eigenen Angebot oder gar „Wert“ zweifeln lässt, sind die Personen (ich sage es wie es ist, meistens Männer – von einer Frau oder nicht binären Person bin ich zum Beispiel noch NIE versetzt worden), die nicht zum Termin kommen, die Dates ausmachen, die sie nie wahrnehmen möchten und damit bewusst oder unbewusst unsere Zeit blockieren. Es sind die Typen, die sich regelmäßig kostenfreie Wi***vorlagen holen wollen, aber nicht im Traum daran denken, dafür zu bezahlen. Aber auch die Ansprüche „Ich will das und das und das und das auch noch erleben, am besten alles in einer Stunde! Waaaas? So viel zahle ich dafür nicht!“ Die Preisdrücker, die verhandeln wollen und der Meinung sind, man selbst oder die angebotene Dienstleistung sei das Verlangte nicht wert.

Wenn das hie und da mal passiert, dann kann man das schulterzuckend ignorieren. Aber wenn es regelmäßig, oder gar jeden Tag passiert – das macht was mit einem. Nichts Gutes. Glücklicherweise wiegen die positiven oder neutralen Kontakte und Begegnungen und die guten Tage die schlechten meiner persönlichen Erfahrung nach doch oft auf. Ich habe weitaus mehr angenehme Kundschaft als Ekelpakete, die ich bereits bei der ersten Anfrage aussortiere.

Gesundes Arbeitsumfeld.

Auch schlechte Arbeitsstellen können einen krank machen. Das wird glaube ich jedem Menschen klar sein, der schon mal gearbeitet hat. Es ist kein spezifisches Phänomen in der Sexarbeit. In unserem Fall sind „schlechte“ Arbeitsstellen zum Beispiel solche, die mehr als 50% der Einnahmen haben wollen, die aber dann nicht in der Lage sind, saubere Räume, Material, Duschen und geheizte Aufenthalts- und Arbeitsräume zur Verfügung zu stellen. Wer so viel Geld für Miete und Nebenkosten verlangt, kann das nur mit einer gehobenen Ausstattung, gepflegten Räumen, gutem Arbeitsklima und insgesamt ordentlichem Service für die Mieter*innen rechtfertigen. Denn das sind Sexarbeitende. Auch wenn es theoretisch möglich ist, sind die wenigsten von uns Angestellte. Wir sind Mieter*innen im Puff, Studio oder Bordell.

Solche Läden, die mehr verlangen als sie bieten, gibt es überall, auch in der BDSM Branche. Ich habe schon in Studios zwischen Bauplane und Wasserrohrbruch, mit einer abgestellten Dusche und Slalom laufen um den aufgerissenen Boden herum gearbeitet, sollte aber dann tatsächlich mehr als 50% abgeben. Ich habe dann einfach meine Sachen gepackt, andere Kolleg*innen können vielleicht nicht ganz so schnell wechseln, abhängig von den Umständen in ihrem Leben. Wenn Betreiber*innen von Prostitutionsstätten dann auch noch die Personen von oben herab, bevormundend oder als „Inventar“ behandeln, dann macht das sicher auch krank, dafür muss es sich dabei gar nicht um Zwangsprostitution handeln. Ich kann gut verstehen, warum Kolleg*innen die solche Betriebe kennengelernt haben, lieber im Hotel oder bei Hausbesuchen arbeiten.

Stigma macht krank!

Was an unserem Beruf vermutlich am meisten krank macht, ist das Stigma. Die Ausgrenzung. Die Sorge davor, dass man „auffliegt“, wenn man sich nicht bei der Familie, dem Umfeld, einer etwaigen Hauptarbeitsstelle oder sogar Partner*innen geoutet hat. Die Angriffe von anderen Menschen, die Abwertung. Nicht zuletzt auch die verletzenden Worte, die Gegner*innen unserer Arbeit uns an den Kopf werfen.

Ich bin komplett geoutet und das ist ein echtes Privileg. Niemand kann mich erpressen, niemand kann mich unfreiwillig an falscher Stelle outen oder bloßstellen. Aber das können wirklich nur die wenigsten von uns.

Die ständige Angst, dass jemand etwas herausfindet, dass man in der Nachbarschaft, dem Dorf, dem Verein oder Kegelclub oder sonstwo ausgegrenzt, bemitleidet oder gar beschimpft wird – die kann schon krank machen. Und ein Outing bringt natürlich auch Probleme mit sich. Plötzlich ist man „diejenige, die sowas macht“ und wird von manchen Menschen entweder anders gesehen, oder ganz stumpf gefragt, ob man nicht auch mal … man würde ja … aber wir sind ja Freunde, da geht doch bestimmt was am Preis?

Stigma führt dazu, dass manche Menschen uns nur als Opfer sehen, andere als nicht ernst zu nehmen, denn wer mit einer Ausbildung, einem Studium oder generell bei Verstand, würde das freiwillig machen? Es führt dazu, dass wir Schwierigkeiten bekommen ein Bankkonto zu eröffnen, einen Kredit genehmigt zu bekommen, unsere Fähigkeiten als Eltern in Frage gestellt werden, sich Freund*innen oder gar Verwandte abwenden.

Ich bin der felsenfesten Überzeugung, wenn dieses Stigma nicht existieren würde, dann würde es uns Sexarbeiter*innen in allen Bereichen deutlich besser gehen. Und ich bin ebenfalls fest davon überzeugt, das Befürworter*innen eines Sexkaufverbotes oder des sogenannten „Nordischen Modells“ dieses Stigma nutzen und absichtlich befeuern.

Also, ja, alles in allem bin ich überzeugt davon, dass auch die Arbeit in der Sexarbeitsbranche krank machen kann. Ich würde aber nicht behaupten, dass das so sein muss, oder es an etwas anderem liegt, als in anderen Branchen auch – an den Menschen, die sich gegenseitig krank machen können.
Deswegen finde ich es so wichtig, Menschen über unseren Job aufzuklären, bevor jemand einsteigt. Deswegen sind gute Arbeitsbedingungen, besseres „standing“ in der Gesellschaft und vor allem Alternativen für diejenigen, die einfach nur wegen des Geldes den Job begonnen haben, auch so wichtig. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, dass wir Stigma abbauen und über unseren Beruf reden.

Und deswegen schreibe ich das hier für Euch auf!

3 Kommentare:

  1. Bravo Gut gebrüllt Löwin! Ich kann das alles voll und ganz unterschreiben – habe alles auch selber erlebt. Du hast voll und ganz recht… auch was die krank machenden Arbeitsverhältnisse in „normalen“ Jobs angeht. Ich habe neun Jahre Callcenter hinter mir und bin dort seinerzeit ausgestiegen mit Burn out und realtiver Depression . Und auch zum Thema „Stigma“ könnte ich ganze Bibliotheken schreiben…LG und bleib so!

  2. Treffer! Habe den Beitrag durchgelesen und beim langsam runterscrollen immer gehofft, dass auch noch etwas Kluges zum Thema „Stigma“ kommt. Ich wurde nicht enttäuscht, hätte aber dieses Thema von der Wichtigkeit her weiter oben angesiedelt. Meine vielen Gespräche mit Sex-Arbeitenden bringen mich zu dieser Anregung. Weit über eine Million Leute nutzen täglich die Angebote, verachten aber die Anbietenden. So kann das in dieser Gesellschaft nicht weiter gehen.

  3. Pingback:Re-Blog: Macht Sexarbeit krank? – ᚴᚢᚿᛁᚿᚵᛆᛋ

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