Was bedeutet „Berührbarkeit“?

You can’t touch this! Oder doch?
Was bedeutet „Berührbarkeit“?

Berührbarkeit – ein Thema, das in meiner Branche immer wieder zur Sprache kommt und auch zu Unklarheiten führen kann, wenn nicht alle Beteiligten dieselbe Definition davon nutzen. Also was genau bedeutet „Berührbarkeit“ und warum ist Kommunikation darüber so wichtig?

Früher™

Erst einmal ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit. Bitte beachtet dabei, dass es immer abweichende Erfahrungen geben kann, und auch schon immer flexiblere Kolleg*innen gegeben hat.

Etwas ältere Generationen von Studiogänger*innen und dominant arbeitenden Sexarbeitenden kennen das vielleicht noch. Früher™ waren sehr viele Dominas „klassisch unberührbar“. Sexuelle Praktiken wie Geschlechtsverkehr oder Oralverkehr waren tabu, die Domina hat sich nicht von ihren Gästen berühren lassen, und wenn doch, dann nicht im Intimbereich oder nur über der Bekleidung.

Das Küssen, Lecken und Berühren von Stiefeln, Handschuhen oder ähnlichem sei da mal als Beispiel genannt. Die Domina hat sich durch diese „sexuelle Unerreichbarkeit“ von anderen Sexarbeitenden unterschieden und mit ihr auch eine Distanz zu ihren Gästen aufgebaut und erhalten, die für viele Menschen in dem Kontext BDSM eben genau den wichtigen Reiz ausmacht. Auch zu viel nackte Haut oder das Zeigen der nackten Brüste etc. wurde oft abgelehnt und als „nicht dominant“ wahrgenommen. War eine Domina unberührbar, dann war nicht selten auch damit zu rechnen, dass der Gast auch nicht via einen Handjob oder mit anderen Methoden zum Orgasmus gebracht wurde. Dominas haben sich auf den BDSM-Bereich beschränkt, den rein sexuellen/befriedigenden Part, den haben sogenannte „Zofen“ übernommen. Natürlich gab es schon immer Kolleg*innen, die BDSM und anderen Formen der Sexualität aufregend miteinander verbunden haben, aber sie haben sich dann nicht unbedingt immer als Domina bezeichnet.

Diversität im Angebot – bizarr, berührbar, unberührbar?

Heute gibt es meiner Meinung nach (glücklicherweise) sehr viel mehr Diversität in der Branche, sehr viele unterschiedliche Herangehensweisen und Bezeichnungen. Es gibt noch immer unberührbare Dominas, die aber zuweilen auch eine Session mit Handjob abschließen oder Sessions oben ohne oder nackt durchführen. Es gibt berührbare Dominas, die aber keine Sessions oben ohne oder komplett nackt anbieten, es gibt Bizarrladies, Switches, dominante/bizarre Escorts und eine ganze Menge Abstufungen dazwischen. Wir alle definieren selbst, wer wir sind, was wir anbieten und bestimmte Label passen nicht mehr so recht. Vielleicht möchten wir auch nicht in bestimmte Schubladen gepackt werden. Das hat auf der einen Seite zur Folge, das auch unsere Kundschaft diverser ist und unsere Sessions schon lange nicht mehr rein auf „oldschool SM“ fokussiert sind, aber eben auch, dass es immer wieder zu Unklarheiten bezüglich verschiedener Begriffe kommt. „Berührbarkeit“ ist einer dieser Begriffe.

Immer fragen, nicht vermuten!

Berührbarkeit kann je nach Anbieter*in völlig unterschiedliche Dinge bedeuten. Fragt also bitte konkret bei den Sexarbeitenden Eurer Wahl nach, was sie unter Berührbarkeit verstehen. Auch wenn eine Domina sich als berührbar bezeichnet, heißt das nicht, dass sie zum Beispiel Geschlechtsverkehr oder Oralsex anbietet. Unberührbar heißt auf der anderen Seite nicht immer, dass ihr die Person auch tatsächlich in keiner Weise berühren dürft. Ich zum Beispiel bezeichne mich als nah- aber nicht berührbar und schreibe oder sage grundsätzlich dazu, dass ich berühre und mein Gegenüber berührt wird. In meinem Fall heißt dass, das ich auch manuell anpacke, um meinen Gästen einen Orgasmus zu bescheren, mich aber selbst nicht im Genitalbereich oder an den Brüsten berühren lasse. Dafür streichle ich meine Gäste gerne mal, und wenn sie es brauchen, nehme ich sie auch in den Arm. Ich bin auch nie nackt oder oben ohne in Sessions, aber meine Zähne und Zunge kommen hin und wieder zum Beispiel zum Einsatz bei Brustwarzenbehandlungen. Auch meine Füße darf man küssen und lecken, wenn man nett fragt. Andere Kolleg*innen sind ebenfalls unberührbar, haben aber Spaß daran auch mal völlig nackt oder in sehr knapper Bekleidung zu spielen und den Gäst*innen bewusst vor die Nase zu halten, was diese nicht haben können.

Wir machen unsere eigenen Regeln!

Wir definieren alle selbst, was wir als Berührbarkeit empfinden, und wenn es aus unseren Texten und Werbung nicht deutlich wird, dann darf und soll man nachfragen.

Oft haben unberührbare Dominas einen Text wie „Kein Intimkontakt bei der Herrin“ auf ihren Homepages oder in Werbeauftritten. Das ist recht klar, so scheint es. Jedoch bedeutet es eben nicht, dass wir unseren Besucher*innen keinen Orgasmus bescheren, wenn es denn gewünscht wird. Auf der anderen Seite findet man Kolleg*innen, die „Leckskla*en-Erziehung“ oder ähnliches anbieten. Hier ist klar, dass sie Oralverkehr an sich selbst in bestimmten Settings zulassen, es bedeutet aber keineswegs, dass auch Blowjobs oder Lecken der Kundinnen zum Angebot gehören.

Die meisten von uns haben auch ihre Tabus gelistet. Bei mir sind das unter anderem GV (Geschlechtsverkehr), OV (Oralverkehr) und AV (Analverkehr). Ich biete aber durchaus Strapon-Sessions an, in denen ich meine Kundschaft anal oder vaginal mit einem Dildo penetriere oder auch mal fiste.

Ich kann jedem und jeder Interessierten nur empfehlen, die Texte der Sexarbeitenden genau zu lesen und nicht nur zu überfliegen. Dort steht in der Regel alles, was ihr zum Angebot wissen müsst. Ist etwas wirklich unklar oder habt ihr Fragen, dann ist eine höfliche und respektvolle Anfrage wie „Ich konnte auf Ihrer Homepage nicht finden, ob Sie eventuell XYZ anbieten. Gehört das auch zu Ihrem Angebot?“ absolut kein Problem. Das gilt für alle Kinks, Fetische und Praktiken. Die meisten von uns bieten so viele unterschiedliche Praktiken an, dass wir sie unmöglich alle auflisten können, ohne damit einen Roman zu schreiben.

Echte oder „unechte“ Domina?

Abschließend sei noch gesagt, dass die Diskussion darüber, wer sich nun als Domina/Dominus bezeichnen darf und soll, vollkommen fruchtlos ist. Es gibt sehr dominante und sadistische Kolleg*innen, die sich einfach die Freiheit nehmen, auch Geschlechtsverkehr mit ihrer Kundschaft zu haben. Das macht sie nicht weniger zu Domina oder Dominus! Es würde vielen von uns gut tun, ein bisschen weniger „snobby“ zu sein und den Menschen selber zu überlassen, wie sie sich bezeichnen und was sie anbieten wollen. Wenn es nicht das ist, was man als Kund*in gerne hätte, dann zieht man weiter und sucht den oder die für die eigenen Vorstellungen gut passende Sexarbeitende*n. Und auch unter Kolleg*innen sollten wir uns alle abgewöhnen, beurteilen zu wollen, wie andere Sexarbeitende etwas zu machen haben. Wenn wir etwas nicht oder anders handhaben als Kolleg*in X oder Y, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht dieselbe Bezeichnung wie wir nutzen dürfen. Unsere Branche ist sehr vielfältig und das ist wunderbar so! Wir haben es doch wirklich nicht nötig unseren Kolleg*innen Vorschriften zu machen – das versucht die Gesellschaft um uns herum doch schon genug, nicht wahr?

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