Warum Sexarbeitende nicht so oft über schlechte Erfahrungen sprechen

CN: Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Gewalt.

In unserer Branche, der Sexarbeit, ist selbstverständlich auch nicht immer alles Gold, was glänzt. Ich habe auch noch nie Kolleg*innen getroffen, die das behauptet haben. Wie in anderen Berufen haben auch wir Begegnungen mit übergriffigen, aufdringlichen oder gar gewalttätigen Personen. Es kommt lange nicht so oft vor, wie es die Gegnerinnen der Sexarbeit der Welt gerne weismachen möchten, aber es kommt vor. Auch Sexarbeitende können belästigt, gestalked, verprügelt oder vergewaltigt werden. Und manchmal sind auch Sexarbeiter*innen Opfer von Tötungsdelikten. Warum also sprechen nicht viele Sexarbeitende darüber? Warum trauen sich manche Sexarbeitende nicht, Gewalttaten gegen sie oder gar Vergewaltigung anzuzeigen?

Weil es gegen uns verwendet wird. Sobald Sexarbeitende eine schlechte Erfahrung öffentlich äußern, wird gesagt „Ha! Sagen wir doch schon lange! Her mit dem Verbot!“

Dabei wird völlig unter den Teppich gekehrt, dass die betroffene Person vielleicht 99% gute Kunden und diesen einen Arschlochkunden hatte. Das wird aber entweder totgeschwiegen oder es wird versucht, das Opfer mundtot zu machen. Mit „Ach, die/der ist ja traumatisiert!“ zum Beispiel.

Viele von uns überlegen sich gut, ob wir schlechte Erfahrungen oder gewaltvolle Erlebnisse überhaupt öffentlich machen sollen, um zu vermeiden, Gegner*innen unserer Arbeit in die Hände zu spielen. Mal ganz abgesehen davon, dass es auch Menschen gibt, die ernsthaft der Meinung sind, dass Sexarbeitende ja gar nicht vergewaltigt werden können, respektive es „ja provoziert“ haben. In Ländern mit einem Sexkaufverbot (Nordisches Modell z. B.) werden Opfer von Vergewaltigung, die auch Sexarbeiterinnen sind, den Teufel tun, zur Polizei zu gehen und eine Anzeige zu machen. Verbote helfen uns nicht. Sie führen dazu, dass nur noch die für uns gefährliche Kundschaft übrig bleibt und wir uns erst recht keine Hilfe von Polizei etc. erhoffen können.

Dabei ist es so wichtig, dass wir auch über unsere schlechten Erfahrungen offen kommunizieren können. Ja, wir müssen! Es gibt nicht ohne Grund so viele Vereinigungen von Sexarbeitenden, die sich für sichere, gute Arbeitsbedingungen einsetzen! Nur wenn ein Beruf als solcher wirklich anerkannt und respektiert wird, wenn es klare Regelungen und Schutz gibt, kann eine Arbeit sicherer ausgeübt werden.

Liest man in einer Zeitung, dass eine Krankenpflegerin von einem Patienten sexuell belästigt oder gar zusammengeschlagen wurde, dann ist man sich einig: Das geht gar nicht! Da muss mehr für den Schutz des Pflegepersonals getan werden! Die Arbeitsbedingungen verbessern! Kein Mensch fordert: Pflegearbeit verbieten! Dasselbe gilt für die meisten Berufe, egal ob im Einzelhandel, Hotel, Gastro, Büro etc.

Also warum wird bei uns immer sofort eine Abschaffung unserer Erwerbstätigkeit gefordert, statt zu sagen „Das ist furchtbar, wir müssen verhindern, dass das so einfach möglich ist!“? Wie können wir die Arbeitsbedingungen sicherer machen? Was braucht ihr?“

Also nein, es ist nicht immer alles supi und problemlos in unserer Branche. „Happy Hooker“ sind die wenigsten von uns. Aber Menschen, die ihren Job selbst gewählt haben und ihn so sicher wie möglich ausüben wollen. Dass ihr nicht so oft von den schlechten Seiten unserer Branche von uns lest, liegt daran, dass Opfer sich nie sicher sein können, dass ihnen aufgrund der Tatsache, dass ihnen etwas schreckliches passiert ist, auch gleich die Lebensgrundlage, ihr Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen, entzogen werden soll.

Statt Hilfe und Verständnis bekommen sie noch eins übergezogen und dann werden sie noch für die Propaganda unserer Gegner*innen schändlich missbraucht.

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