Interview „BDSM in der Gesellschaft“

Als Sexarbeitende bekommen meine Kolleg*innen und ich immer mal wieder Anfragen für Interviews. Jüngst war es die Anfrage einer jungen Frau, die im Rahmen ihrer Ausbildung eine Vertiefungsarbeit schreiben muss. Dafür sollte sie ein Interview führen und für dieses hat sie sich das Thema „BDSM in der Gesellschaft“ ausgesucht. Weil ich es für ein sehr interessantes Thema halte, wollte ich Euch meine Antworten auf ihre Fragen nicht vorenthalten.

Wie sind Sie zu BDSM gekommen?

Das ist schon recht lange her. Ich hatte schon bei meinen ersten sexuellen Erfahrungen 1992 im Alter von 15 Jahren festgestellt, dass ich es mag, aktiv, dominierend und durchaus mit ein bisschen Schmerz an die Sache heranzugehen. Damals war das noch verhältnismäßig harmloses Kratzen, Beißen, etwas grober anfassen und vor allem wollte ich immer die Kontrolle haben. Einen konkreten Namen hatte ich allerdings dafür noch nicht. 1997 bin ich dann im IRC (Internet Relay Chat, ein textbasiertes Chat-System) zufällig über einen BDSM-Channel gestolpert und da ging mir ein Licht auf. Von da aus habe ich mir die Informationen, die ich haben wollte, im Internet zusammengesucht und recht schnell auch Menschen aus besagtem Channel real kennengelernt, erste Partys, erste Stammtische besucht. Damals habe ich noch in der Schweiz gelebt, die sogenannte „Szene“ war in Deutschland jedoch schon etwas besser aufgestellt, weswegen ich zu Partys auch bis nach Köln gefahren bin. In dieser Zeit habe ich dann auch einen passiven Partner kennengelernt, bin 2001 von der Schweiz nach Bonn und zu ihm gezogen, und meine Peergroup besteht im Grunde seit damals hauptsächlich aus Personen die mindestens BDSM-offen, tolerant und sexpositiv sind.

Wie wird BDSM heutzutage in der Gesellschaft toleriert, aus Ihrer Sicht?

Das hängt sehr stark davon ab, mit welcher Altersgruppe man es zu tun hat und ob es sich um privaten oder kommerziellen BDSM handelt. Grundsätzlich deutlich besser, als noch vor 15 oder 20 Jahren. Wir sind noch immer nicht völlig aus der „Schmuddelecke“ raus, von vielen, vor allem jüngeren Menschen, werden Praktiken aus dem BDSM Spektrum allerdings mittlerweile völlig selbstverständlich als Erweiterung ihres Sexuallebens eingebunden. Wir dürfen nicht vergessen, BDSM ist ein „umbrella term“, also ein Überbegriff für unzählige verschiedene Praktiken, die keineswegs alle etwas mit Schmerzen, Dominanz/Unterwerfung usw. zu tun haben.

Mein Eindruck ist, dass es mittlerweile für jüngere Menschen schon fast zu einem Trend geworden ist, sich in oder am Rande der sogenannten „BDSM-Szene“ zu bewegen, auch wenn sie für sich nicht einmal sicher sagen können, ob sie entsprechende Neigungen oder einfach Neugier dahin treibt. Was völlig ok ist. Wir haben uns alle erst einmal orientiert und herausgefunden, was für und zu uns passt, und selbst, wenn ein Mensch dann entdeckt, dass das nicht sein/ihr/their Ding ist, hat die sogenannte „Szene“ meiner Erfahrung nach trotzdem viel zu bieten. Unabhängig von den Praktiken wird unglaublich viel über gegenseitigen Respekt, Sicherheit, Konsens, Toleranz etc. gesprochen, davon können viele Menschen profitieren, ganz unabhängig von ihren persönlichen Neigungen und Vorlieben. In der Gesellschaft als Ganzes wird BDSM allerdings noch oft in Klischees dargestellt und wahrgenommen. Werbung mit Dominas, die so in Lack & Leder verpackt sind, dass sie bei jedem Schritt quietschen und knirschen. Submissive Männer, die winseln und sabbern. Dass die Realität selbst im Dominastudio oft anders aussieht, wird nicht so gerne gezeigt oder gehört. Es birgt einfach zu wenig Empörungspotential.

Bei meinen Gästen im Studio sind auch immer wieder Menschen dabei, die schon etwas älter sind. Sie sind zu Zeiten groß geworden, in denen BDSM als „krank“, „falsch“, „pervers“ massiv verurteilt wurde und kinky Menschen eine deutlich stärkere Stigmatisierung als heute erfahren haben. In denen ein Outing als „Perverser“ sogar den Job kosten konnte. Einige von ihnen haben das verinnerlicht und schämen sich vor ihren Partner*innen oder sogar vor sich selbst, deswegen leben sie ihre Neigungen in einem Studio und nie privat aus. Es ist dann nicht so nahe am Privatleben, und wenn die Studiotüre geschlossen wurde, wird auch niemand sonst davon erfahren. Sexarbeitende sind naturgemäß ein absolut verschwiegenes Völkchen.

Bei manchen Menschen ist da tatsächlich ein richtiger Leidensdruck dahinter.

Etliche haben auch schon versucht, mit ihren Partner*innen bestimmte Praktiken auszuleben, diese haben aber keine passenden Neigungen und bevor z. B. der Ehemann oder die Partnerin privat eine Affäre beginnt, sehen sie darüber hinweg, dass sie sich in einem Studio ausleben.

Kurz gesagt – die Toleranz ist sicher höher als früher, aber BDSM ist vielleicht als etwas skurriler „Modetrend“ (auch im wörtlichen Sinne, viele Kleidungsstücke und Accessoires aus dem Fetischbereich haben ihren Weg in die Mode gefunden) akzeptiert, aber noch nicht wirklich gesellschaftsfähig. Wir arbeiten daran.

Wie denken Sie darüber?

Die Frage verstehe ich nicht ganz. Wie ich darüber denke, wie BDSM toleriert wird, habe ich ja bereits dargelegt. Für mich ist es tatsächlich nicht wirklich relevant, was andere Menschen darüber denken. Erst wenn es zu staatlichen Eingriffen in das Selbstbestimmungsrecht, die persönliche Sexualität oder meinen Beruf kommt, ist es ein Problem. Dagegen kämpfen sowohl verschiedene BDSM-Vereine, als auch Sexarbeitenden-Organisationen.

Unsere Körper gehören uns und was wir in gegenseitigem Einvernehmen als erwachsene Menschen miteinander machen, das geht absolut niemanden außer die Beteiligten etwas an. Völlig unabhängig davon, ob wir BDSM privat oder professionell ausleben.

Gibt es viele Vorurteile über Ihren Beruf?

Die kurze Antwort: Ja. Unzählige.

Könnten Sie dazu Beispiele nennen?

Man liest des öfteren, dass Dominas ja keine „richtigen“ Sexarbeitenden sind. Dass sie in der „Prostituierten-Nahrungskette“ an der Spitze stehen und ja viel mehr verdienen. Diese Idee ist falsch. Auch wenn viele (nicht alle) Dominas in der Regel keinen Geschlechtsverkehr anbieten, sind es sexuelle Dienstleistungen, die durchaus überwiegend mit dem Orgasmus der Kund*innen enden. Wer einen Unterschied zwischen Kolleg*innen, die beispielsweise auf der Straße, im Stundenhotel, Wohnmobil usw. arbeiten und Dominas macht, befeuert eine Hierarchie, die es so nicht geben darf. Wir sind keinesfalls besser als Menschen, die in einem anderen Branchenzweig arbeiten, wir bieten nur unterschiedliche Dienstleistungen an. Was den Verdienst angeht, auch das ist eine Illusion, die ich zerstören muss. Ja, unser Honorar ist nicht gerade niedrig. Ich zum Beispiel verlange für eine Stunde im Studio üblicherweise 250€. Das klingt erst einmal nach viel Geld. Allerdings haben die meisten von uns nicht jeden Tag mehrere Stunden zu tun. Von diesen 250€ bezahlen wir Miete und Nebenkosten, da kaum eine Domina angestellt ist, sondern fast alle freiberuflich tätig sind, respektive ein eigenes Studio besitzen. Dazu kommen Bekleidung, Verbrauchsmaterialien, wenn ich nicht nur im Studio arbeite, sondern einen Hotelbesuch mache, auch „Spielzeug“ zum mitnehmen, Versicherung, Fahrtkosten, Steuern und bei manchen Menschen auch noch ein*e Steuerberater*in, sofern sie sich mit Buchhaltung etc. nicht gut auskennen. Da habe ich Glück, denn ich bin gelernte Kauffrau mit Buchhaltungskenntnissen. Am Ende bleibt von dem Verdienst nicht mehr ganz so viel übrig, wie es sich die Menschen gerne vorstellen.

Es kommen natürlich auch viele andere falsche Vorstellungen dazu. Die Annahme, dass ausschließlich Frauen im dominanten kommerziellen Bereich arbeiten, zum Beispiel. Das ist nicht korrekt, ich habe mehr als einen männlichen Kollegen, der als Dominus arbeitet. Die Klientel ist auch da öfter männlich, jedoch nicht ausschließlich. Genausowenig, wie ich ausschließlich männliche Kunden habe. Es kommt durchaus auch vor, dass Frauen Termine buchen, oder Pärchen eine Einführung in verschiedene Techniken wünschen. Die Konstellation, dass der dominante Teil einer Beziehung sich etwas unsicher ist und ein Paar deswegen etwas Anleitung einer Domina/eines Dominus in Anspruch nimmt, die ist gar nicht so selten.

Ein weiteres Beispiel wäre das Klischee, dass ein submissiver Mann geradezu ins Dominastudio gekrochen kommt und sagt „Herrin, macht mit mir, was ihr wollt!“ Tatsächlich sieht die Realität doch deutlich anders aus.

Bei mir wird für jede Session ein Termin vereinbart und bevor es überhaupt zur Sache geht, ein Vorgespräch geführt. Darin frage ich die Wünsche und Vorstellungen ab, welche Erfahrungen ein Mensch schon gemacht hat, welche no-gos es gibt und auch, ob die Person gesundheitliche Einschränkungen hat, die verschiedene Praktiken ausschließen. Wider Erwarten sind gar nicht so viele Kund*innen Hardcore Masochisten oder extrem devot. Sie haben ganz unterschiedliche Neigungen, die teilweise überhaupt nichts mit Schmerz oder Unterwerfung zu tun haben.

Ich arbeite auch nicht grundsätzlich in Lack&Leder oder mit Korsett und High Heels. Das ist sehr individuell und kann von Springerstiefeln und Armypants, über schwarzen Bleistiftrock und weiße Bluse zu Abendkleid oder Doktorkittel reichen, je nachdem was die Kund*innen sich wünschen und wenn sie sich nichts wünschen, dann danach, wie ich mich gerade fühle. Es ist stark abhängig davon, ob es sich um ein Rollenspiel handelt. Ich werde bei einem Klinik-Szenario eher nicht im Bibliothekarinnen-Outfit daher stöckeln, bei einem Gefängnis-Rollenspiel nicht im Blümchenkleid usw.

Bekommen Sie viele unseriöse Anfragen?

Auch hier lautet die Antwort: Ja.

Zur Zeit ist meine Arbeit in Deutschland durch die Coronaschutzverordnungen untersagt. Trotzdem bekomme ich immer wieder Anfragen, die reale Treffen zum Inhalt haben. Das fällt für mich unter unseriös und noch dazu gefährlich. Man kann über die momentan geltenden Regelungen und ihre Sinnhaftigkeit geteilter Meinung sein, aber wer mir eine Anfrage in diesen Zeiten schickt zeigt, dass es mit geltendem Recht und Verordnungen nicht so genau genommen wird. Das ist ein Ausschlusskriterium und ich merke mir das auch für nach der Pandemie, wenn wir wieder regulär arbeiten dürfen.

Auch in Nicht-Pandemiezeiten bekomme ich immer wieder Anfragen, die alles andere als seriös sind. Von Inhalten, die schlicht gegen geltende Gesetze verstoßen würden, über klar erkennbare „Kopfkinos“, die einfach nicht realistisch umsetzbar sind zu Nachrichten und Telefonaten, die ein Versuch sind, sich kostenfrei Leistungen zu erschleichen. Mit der Zeit entwickelt man aber ein Gespür dafür, welche Anfragen seriös sind und welche nicht. Ähnlich wie viele andere Kolleg*innen, bin ich inzwischen dazu übergegangen, eine kleine Anzahlung für Termine zu verlangen, wenn ich mir unsicher bin. Da wir uns in Studios einmieten, bleiben wir sonst im schlechtesten Falle auf der Raummiete sitzen, wenn Gäste einfach nicht erscheinen.

Begegnen Sie vielen Personen, die BDSM nur von Fifty Shades of Grey kennen?

Nein, das ist tatsächlich nicht der Fall. Das hat allerdings in erster Linie damit zu tun, dass mein Umfeld ohnehin schon länger mit der Thematik beschäftigt ist und kein nennenswertes Interesse an so verzerrten Darstellungen hat. Als Buch und Film raus kamen, gab es allerdings ein paar Diskussionen darüber, wie falsch und irreführend diese Geschichte ist. Fifty Shades of Grey beschreibt keine gesunde BDSM-Konstellation, sondern eine extrem missbräuchliche Beziehung. Ich würde es keinesfalls Menschen empfehlen, die sich neu mit der Thematik beschäftigen möchten.

Denken Sie, BDSM ist schwer im Alltag auszuleben, wenn man noch nicht viel Erfahrung hat sammeln dürfen?

Nicht schwerer oder weniger schwer als andere Formen der Sexualität. Wir leben ja üblicherweise unsere Sexualität eher nicht „im Alltag“ aus. Da stehen Arbeit, Haushalt, Hobbys, Familie o.ä. im Vordergrund. Für Intimität muss man sich schon bewusst Zeit nehmen. Es ist auch keine Frage der Erfahrung. Viel eher ist es ein Thema, ob man passende Partner*innen dafür hat, wie offen man kommuniziert und ob man sich diese Zeit und Ruhe zum Erforschen und Experimentieren nehmen kann. Wir haben ja jetzt durch die Pandemie eine besondere Situation, aber zu normalen Zeiten gibt es ja die Möglichkeit, zu Stammtischen zu fahren und sich da neben Austausch auch Rat zu holen, wenn es z. B. um Techniken geht. Um erste BDSM Erfahrungen zu machen, braucht man auch nicht gleich ein Andreaskreuz und einen Strafbock neben der Waschmaschine im Keller, einen Reisekoffer voller Schlagwerkzeug und Seile oder einbetonierte Deckenhaken, die man beim Auszug nur noch wegflexen und überstreichen kann.

Sind Sie gegenüber neuen Freunden und Verwandten offen, was Ihre persönlichen Neigungen angeht?

Wenn es eine zwischenmenschliche Beziehung ist, in der auch mal über Sexualität gesprochen wird, ja. Meistens spricht man ja nun nicht mit jedem darüber, was im heimischen Schlafzimmer so getrieben wird, deswegen finde ich die Idee mit der „Offenheit“ immer eher amüsant. Wobei ich auch nicht unbedingt ins Detail gehe, was ich denn so mag. Auch BDSM-interessierte Menschen haben andere Themen als ihre Kinks und Vorlieben, in aller Regel sind sie in Gesprächen mit Freund*innen und Verwandten einfach nicht Thema. Wenn es um Berufliches geht, ich zum Beispiel gefragt werde, was für einen Beruf ich ausübe, dann bin ich da auch völlig offen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich für meine Arbeit in irgendeiner Form schämen muss und bin in meinem Familien- und Freundeskreis komplett geoutet.

Gibt es Dinge, die Sie schon sehr erfahrenen Personen noch beibringen/mitteilen mussten?

Ja, das gibt es immer mal wieder. Wir können nicht alles wissen oder mit allem Erfahrungen gesammelt haben. Deswegen sind Austausch, Weiterbildung, Workshops und Ähnliches sehr sinnvoll und wichtig. Sowohl privat als auch beruflich. Wenn ich eine neue Technik lernen möchte, dann suche ich mir erfahrene Menschen, beispielsweise medizinisches Fachpersonal oder in ihrem Gebiet sehr erfahrene Kolleg*innen und lasse mir Dinge erklären und beibringen. Im Gegenzug erkläre ich auch Menschen Techniken, die eigentlich sehr erfahren sind, aber eine spezielle Sache, mit der ich mich lange beschäftigt habe und gut auskenne, noch nie gemacht haben. Gerade bei riskanteren Praktiken ist eine solide Kenntnis der menschlichen Anatomie zum Beispiel sehr wichtig. Am aller häufigsten geht es aber um Fragen der Kommunikation. Ich habe schon mit wirklich langjährigen SMer*innen darüber gesprochen, wie sie am besten persönliche Grenzen ziehen, Wünsche artikulieren oder Kritik äußern können. Das ist sehr oft eher eine Baustelle als tatsächliche Praktiken.

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